Charlie „Bird“ Parker wurde zu einem der wichtigen und einflussreichen Musiker in der Geschichte des Jazz. Er galt als einer der Schöpfer und herausragenden Interpreten des Bebop. Vor 100 Jahren kam er am 29. August 1920 als Charles Parker Jr. in Kansas City zur Welt.
Parkers Einfluss auf den Jazz
Seine Musik „hat den Jazz beeinflusst wie vor ihm vielleicht nur die von Louis Armstrong und nach ihm die von John Coltrane und Miles Davis“. Ab 1942 wirkte er an den legendären Jamsessions im Monroe’s und im Minton’s Playhouse in Harlem mit. Dort entstanden gemeinsam mit Dizzy Gillespie und Thelonious Monk entscheidende Grundlagen für den Modern Jazz. Er spielte dabei, für damalige Verhältnisse, kühne Dissonanzen und rhythmische Verschiebungen. Die waren aber allesamt von seinem Gefühl für melodische Schlüssigkeit geprägt.
Auch in sehr schnellen Stücken vermochte er prägnant, stimmig und mit hoher Intensität zu improvisieren. Anfang der 1950er-Jahre verschlechterte sich der gesundheitliche Zustand des Saxophonisten rapide. Seit seiner Jugend war Parker drogensüchtig. Seinen letzten Auftritt hatte er am 05. März 1955. Er spielte in dem nach ihm benannten New Yorker Jazzclub Birdland. Am 12. März 1955 starb Parker in New York City.
Die Musik
Parkers Spielweise ist geprägt von einer äußerst lebhaften, beweglichen, ideenreichen und virtuosen Melodik. Oft in Verbindung mit einer vibrierenden, unruhig wirkenden Rhythmik. Darum sind seine Melodielinien besonders auf alten Aufnahmen teilweise nur bruchstückhaft erkennbar.
Anfang der vierziger Jahre erschöpfte sich der damals nicht nur in den USA enorm populäre Swing. Es entstanden immer mehr klischeehafte Arrangements und stereotype Harmonien. Die häufig schlagerartigen Themen produzierten Soli mit oft typischen, vorhersehbaren Wendungen im Rahmen weiter und gut nachvollziehbaren Spannungsbögen.
Auf der Suche nach neuen Wegen
Gelangweilt suchte Charlie „Bird“ Parker mit anderen jungen Musikern nach neuen musikalischen Wegen. So „zerlegte“ er die großen, nachsingbaren Bögen der Swingmelodien in lauter kleinere, motivische Fragmente. Eine Technik, die schon in der „Diminution“ des Hochbarock auftaucht. Die Tempi werden oft rasend schnell. Die Soli bestehen daher oft aus geradezu halsbrecherisch schnellen Ton-Kaskaden. Diese sind jedoch harmonisch und rhythmisch immer schlüssig. Sie verlieren nie den Bezug zu den zu Grunde liegenden Akkorden.
Dies erreichte Parker durch spezielle Skalen. Entwickelt hat er diese schon in Kansas, während seines Rückzugs aus den öffentlichen Sessions und heimlichen Übephase. Er erweiterte eine normale Tonleiter um „Leit“- oder „Gleittöne“, die im Swing als disharmonisch galten, aber seine Läufe und Phrasen auf rhythmischen Schwerpunkten enden ließen. Dazu gehörte auch das im Swing „unerlaubte“ Intervall der erhöhten Quarte, deren Abwärtssprung lautmalerisch „Be-Bop“ zu sagen scheint. Zugleich integriert er die Vitalität eines starken Bluesfeelings in seine Soli.
Parkers Improvisationsstil veränderte die übliche Formelsprache des Swing auch im Blick auf die Harmonien: Diese wurden mit mehr tensions (Zusatztönen im Akkord) angereichert und wechselten häufiger. Der hypnotische Sog seines Saxophonspiels erzeugte eine Wechselwirkung mit seinen Mitmusikern: So ließen sich etwa der Schlagzeuger Kenny Clarke und der Pianist Thelonious Monk zu großer rhythmischer und harmonischer Komplexität inspirieren. Parker führte diese Elemente dann wiederum auf ganz eigene Weise zusammen. Er bewegte sich innerhalb dieses selbst geschaffenen musikalischen Idioms mit einer einzigartigen Gewandtheit und Eleganz.
Der Komponist
Auch als Komponist ist Charlie „Bird“ Parker für die Jazzgeschichte maßgebend geworden. Seine Stücke entstanden oft aus Improvisationen über längst bekannte Themen. Er benutzte einfach das Harmoniegerüst eines Standards. Meist erfand er spontan und oft erst im Studio ein völlig neues, wiederum in sich stimmiges Thema. Für die auf solche Art entwickelten Themen hat sich der Fachbegriff bebop head entwickelt. Er hielt sich nicht damit auf dieses zu notieren, so dass er zahllose begeisterte Musikerfans und Editoren mit dem „Heraushören“ beschäftigte.
Einer seiner Wahlsprüche war: „Learn the damn changes to forget them!“ – „Lern die verdammten Akkorde, um sie zu vergessen!“
Ornithology etwa ist ein elegantes Solo über How High The Moon, das dessen Harmoniewechsel „beschleunigt“. Bird of Paradise eine Variation über All the Things You Are.
Oft verwendete Parker auch harmonische Grundformen des Jazz. Zum Beispiel die Rhythm Changes von George Gershwins Hit I Got Rhythm. (oder bei Celebrity, Chasing the Bird, Kim, Moose the Mooche, Passport, Steeplechase, Anthropology, Dexterity und anderen) oder das Blues-Schema, wobei er diese Formen harmonisch erweiterte.
So gelang es Parker, Blues und funktionale Harmonik miteinander zu verschmelzen.
Zu Beginn wirkte sein Spiel brandneu, revolutionär und galt den Heroen der Swingära geradezu als Frevel. Er setzte ihrem eingängigen und tanzbaren Stil eine Musik entgegen, die der Erwartungshaltung des Publikums widersprach. Der Bebop war mit seinen wirbelnden Melodiekürzeln und rasanten Rhythmen als Tanzmusik ungeeignet und wurde als disharmonisch und chaotisch empfunden. Parker verstand sich anders als viele damalige schwarze und weiße Musiker nicht als Entertainer, der nur die Wünsche der Hörermasse zu bedienen hatte. Er spielte durchaus extrovertiert.
Er reagierte oft unmittelbar auf Zurufe auf der Bühne. Dabei sah er sich aber als Künstler, der fortwährend seinen eigenen, individuellen musikalischen Ausdruck suchte. Dies brachte ihm anfangs nur wenige Fans und Musikerfreunde ein. Das breite Publikum lehnte ihn zunächst schroff ab. So war der Bebop in seiner Blütezeit zwischen 1945 und 1950 noch keineswegs populär und setzte sich erst allmählich auch kommerziell durch.
Erst Charlie Parker gab dem Altsaxophon die dominante solistische Rolle im Combo-Jazz. In den Big Bands der 1930er-Jahre war dies noch nicht der Fall. Damit gab er auch anderen Jazz-Instrumenten; Schlagzeug, Klavier, Gitarre und später der Hammond-Orgel neue Impulse für größere solistische Freiheiten. Viele Trommler spielten fortan „melodischer“, die Harmonie-Geber rhythmischer. So definierte Parker den Jazz neu als gruppendynamisches Ereignis, das zu ungeahnten Abenteuern und Entdeckungen einlädt und dabei seine ursprüngliche Vitalität und Ausdruckskraft wiedergewinnt.
Parkers hoch virtuose Technik
Er verfügte über einen klaren, scharf akzentuierten Ton. Dieser war ohne Vibrato und eine hoch virtuose Technik, was ihm bei seinen Musikerkollegen viel Bewunderung einbrachte. Der Saxophonist Paul Desmond sagte in einem Interview, bei dem Parker auch anwesend war: „Eine weitere Sache, die ein wesentlicher Faktor in Ihrem Spiel ist, ist diese phantastische Technik, der niemand ganz gleich kommt.“ Parker antwortete darauf: „Naja, Sie machen es mir so schwer, Ihnen zu antworten; Sie wissen schon, weil ich nicht erkenne, wo bei dem Ganzen etwas Phantastisches ist … Ich habe die Leute mit dem Saxophon verrückt gemacht. Ich habe da gewöhnlich mindestens 11 bis 15 Stunden täglich hineingesteckt.“
Noch heute gilt er als das überragende und unübertroffene Genie auf dem Altsaxophon, das schulbildend gewirkt hat und dem viele Jazzmusiker nacheifern. Er hat den Jazz aus den Zwängen der Unterhaltungsmusik herausgeführt und damit als eigenständige Kunstform des 20. Jahrhunderts wenn nicht „etabliert“, so doch emanzipiert.
Gründer des Modern Jazz
Er gilt bei Musikern, Fachwelt und Publikum als der alles überragende Gründervater des Modern Jazz. Parker brachte viel Verständnis für neuere Entwicklungen auf. Gedanklich konnte er sogar die Anfänge einer frei improvisierten Jazzmusik nachvollziehen. Auf die Frage des Journalisten John McLellan, was Parker von Lennie Tristanos neuer Richtung halten würde, dieser kollektiven improvisierten Musik ohne Themen und Harmonien (er, McLellan, könne gar nicht verstehen wie das funktioniere) antwortete Parker: „Das sind, genau wie Sie sagen, Improvisationen. Sie wissen schon wenn Sie genau zuhören, dann können Sie die Melodie entdecken, die sich innerhalb der Akkorde weiterbewegt. Jeder beliebigen Folge von Akkordstrukturen anstatt die Melodie vorherrschen zu lassen. In dem Stil, den Lennie und die anderen darbieten, wird sie mehr oder weniger gehört oder gefühlt.“