Gigantentreffen – Miles Davis & John Coltrane

Miles Davis & John Coltrane: Treffen der Jazz-Giganten
Wir schreiben das Jahr 1960. Europa erlebt in jenen Frühlingstagen erstmals live den Modalen Jazz. Kein Geringerer als Miles Davis ist es, der das achte musikalische Weltwunder in die alte Welt bringt. Doch um ein Haar muss er dabei auf eine Koryphäe seines legendären Sextetts verzichten: John Coltrane.

Doch der Reihe nach – Altsaxofonist Cannonball Adderley hatte bereits im Herbst 1959 der Formation, die sich nicht zuletzt mit dem legendären „Kind of Blue“ in die Jazz-Analen spielte, den Rücken gekehrt. Nun sah auch Coltrane seine Zeit gekommen, nach fünf Jahren als Tenorsaxofonist des Sextetts, eigene Wege zu gehen und sich so von Meister Davis zu emanzipieren. Im Januar 1960 bereits hatte er „Giant Steps“ veröffentlicht. Wie der Albumtitel unschwer erkennen lässt, wagte Coltrane damit einen für sich riesigen Schritt in Richtung musikalischer Autonomie. Dennoch gelang es Miles Davis, Coltrane noch einmal zu einer letzten gemeinsamen Tour über den großen Teich zu überreden. „Jazz At The Philharmonic“, so der Titel der anstehenden Europatour vom 21. März bis 10. April 1960. Davis und Coltrane zur Seite standen dabei Pianist Wynton Kelly sowie die Rhythmusfraktion um Paul Chambers am Viersaiter und Schlagzeuger Jimmy Cobb.

Mit Klassikern wie „Bye Bye Blackbird“ sowie dem noch jungen Meilenstein „Kind of Blue“ sowie im Überseekoffer, der heute als erfolgreichstes Jazz-Album aller Zeiten gilt, macht das Quintett Station in Frankreich, den Niederlanden Schweden, Dänemark, Deutschland, Österreich und der Schweiz. Für die Nachwelt festgehalten wurde diese Tour im sechsten Teil der „Bootleg Series“ auf insgesamt vier CDs (Miles Davis & John Coltrane: The Final Tour: The Bootleg Series Vol.6). Neben dem Auftritt im Kopenhagener Tivoli Koncertsal sind auf der CD-Compilation jeweils zwei Konzerte aus dem L’Olympia in Paris sowie dem Stockholmer Konserthuset zu hören, die unter Jazz-Kennern als die entscheidenden Momente der Tour gelten. Bereits auf der ersten Station versuchte Coltrane im Pariser Olympia mit langen und wilden Soli seinen Chef Davis an die Wand zu spielen. Vor allem bei den bekannten Standard-Klassikern wie „On Green Dolphin Street“ oder „Bye Bye Blackbird“ wusste er damit beim Publikum zu polarisieren – entweder pfiff es oder es johlte vor Begeisterung. Nur einen Tag später folgte das genaue Gegenteil. Coltrane spielte sein Saxofon nahezu subtil, seine Soli waren an Feingefühl und Lyrik kaum zu übertreffen. Gemeinsam mit Jimmy Cobb, Paul Chambers und Wynton Kelly schenkte Coltrane seinem Bandleader Davis zwei unvergessliche, brilliante Auftritte in der schwedischen Metropole, die zu den größten Momenten der Tour werden sollten.

Am Ende der CD-Box fragt ein schwedischer Journalist Coltrane, ob er wütend sei. Dies weist der entspannt wirkende Saxofonist jedoch entschieden zurück und antwortet, dass es sich vielleicht so anhöre, doch der Grund, warum er so viele Klänge spiele, vielmehr der sei, Dinge auszuprobieren auf der Suche nach dem Wesentlichen und Sinnvollen. Eine Suche, die John Coltrane bis zu seinem frühen Tod 1967 begleiten wird. Das Quintett Davis, Coltrane, Jimmy Cobb, Paul Chambers und Wynton Kelly hat auf dieser Tour trotz des Ausstieges von Altsaxofonist Cannonball Adderley Maßstäbe gesetzt. Meister Davis benötigt daraufhin mehrere Jahre, wieder eine Band von ähnlicher Qualität zu formen.

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